Vergangenheit und Zukunft
Eine stilistische Verortung gibt es bei der aus Polen stammenden, in Berlin lebenden Malerin Mirella Pietrzyk nicht. So sehr man das hier abgebildete unbetitelte Motiv, auch all die anderen Bilder an der Wand der unlängst von Mitte nach Friedrichshain umgezogenen Inselgalerie auch befragen würde. Diese wie außerirdischen Eva-Gestalten mit manieristisch überlängten, verdrehten, alabasterweißen Körpern, mit Facettenaugen, Perlen- und Blasen-Frisuren und mit einschnürenden Roben wie Kettenhemden scheinen aus ferner Zeit wie aus der Die Welt im toten Winkel Zukunft zu kommen, aus der Historie wie aus dem Sciene-Fiction. Und wollte man es kunstgeschichtlich sagen, wären das Inspirationen von Hieronymus Bosch über Manieristen wie Pontormo zu den Surrealisten der Klassischen Moderne. Etwa zu Max Ernst und Meret Oppenheim – und von da zu den unglaublichen Geschichten Stanislaw Lems, Pietrzyks polnischem Landsmann, Dichter außerirdischer Intelligenzen, etwa in „Solaris“.
Die Malerin macht keinen Hehl daraus, dass es ihr bei ihren rätselhaften Figurationen insbesondere auch um Emanzipation geht, um einen charmanten Widerstand gegen Frauen-Rollenklischees, die sie aus ihrem Leben im erzkatholischen Polen, auch jetzt unter der Regierung der national-konservativen PiS kennt, die drei großen „K’s“: Kinder, Küche, Kirche. Aber bei dieser Malerin ist Gesellschaftskritik, wenn man es überhaupt so nennen will, keine direkte Sache. Eher passiert bei ihr der Zeitverweis kühn, exzentrisch, mythisch-rebellisch, fantastisch schräg, irritierend. Auch märchenhaft. Sie malt etwas, das sich nicht zensieren lässt. Aber das passiert auch nicht, schließlich lebt Pietrzyk seit Jahren in Deutschland. Und nein, es sind keine Überschüsse oder gar Ausgeburten einer überdrehten Fantasie, was da vor unseren Augen passiert. Diese orgiastischen verdrehten, quellenden visionären Formen, sanft bis farbstark, ja, theatralisch in Szene gesetzt, strahlen Magie aus, wollen den Blick eiliger Betrachter magnetisieren. Für Momente sollen wir die Welt im toten Winkel sehen. Das nicht Sichtbare. Das heißt: nicht mit dem gewohnten Blick, nicht aus klassischer Perspektive. Pietrzyk rebelliert gegen alles Brave, Ausgewogene, Gewohnte, indem sie das Abbildhafte verzerrt, das Geschehen, das Figurative übersteigert und ins Reich der Phantasmen zieht, wo vieläugige Frauen obsessiv agieren.
Beunruhigend bizarr
Im gegenwärtigen coolen Kunstbetrieb ist diese körperbetonte, manieristische Malerei freilich eine Ausnahmeerscheinung. Verschlüsselt, geheimnisvoll-ungreifbar sind diese papiernen Bildflächen, bemalt mit Acrylfarben und Tusche, altmeisterlich und zugleich visionär. Nichts lässt sich einordnen in kunsttheoretische Schubladen. Diese bizarr schönen, beunruhigenden, Dekoratives nicht scheuenden Traumszenen und Mythen, Metamorphosen und Fabelwesensperren sich. Die Malerin ist ein freier Geist. „Die Freiheit wird einem nicht gegeben, man muss sie nehmen“, sagte einst Meret Oppenheim, feministische Malerin eines magischen Surrealismus. Mirella Pietrzyk ist denn auch so frei.
Ingeborg Ruthe
Auszug aus: Berliner Zeitung vom 14.07.2017